Misgendering: Was ist das und warum ist es schädlich?
Die Debatte um gendergerechte Sprache wird momentan hitzig geführt. Das Gendern steht dabei im Deutschen für einen Sprachgebrauch, der die Geschlechtergleichbehandlung sowohl in der schriftlichen als auch in der gesprochenen Sprache ausdrücken soll. Während viele immer noch vor allem an zwei Geschlechter – das weibliche und das männliche – denken, bezieht die eigentliche Form des Genderns auch trans, nicht-binäre, intersexuelle und queere Personen mit ein. Was Misgendering in diesem Zusammenhang eigentlich ist und warum es sogar schädlich sein kann – hier gibt es die Antworten.
Kurzer Exkurs: Welche Geschlechter gibt es und wie werden sie gehandhabt?
Festzuhalten ist – je mehr man recherchiert, desto unterschiedlicher fallen die Antworten aus. Selbst Institutionen, Behörden und sogar Länder unterscheiden in der Varietät der Geschlechter.
In Australien können transgender oder intersexuelle Menschen beispielsweise seit 2011 auf ihrem Pass das Geschlecht F (female=weiblich), M (male=männlich) oder X (Intersex, bzw. unbestimmt, unspezifiziert) angeben.
In der Universität von Kalifornien können neue Studierende sogar zwischen ganzen sechs Geschlechtern wählen:
- Mann
- Frau
- Trans-Mann
- Trans-Frau
- Geschlechtsneutral, bzw. ohne Geschlechterrolle
- Andere Identität
In Deutschland gibt es seit 2013 die Möglichkeit, ein intersexuelles Kind bei Geburt weder als männlich noch als weiblich ins Geburtenregister eintragen zu lassen. Trans-Personen können zudem ihr offizielles Geschlecht zwischen männlich und weiblich wechseln. Diesen Wechsel offiziell zu machen, ist allerdings alles andere als einfach und kann mitunter Monate bis Jahre dauern.
Was ist Misgendering?
Misgendering oder Misgendern bedeutet, dass eine Person auf eine Weise angesprochen wird, die nicht ihrem Geschlecht entspricht. Ihr wird also das falsche Geschlecht zugeordnet, indem mit oder über sie mit einem falschen Pronomen gesprochen wird oder eine falsche Anrede verwendet wird.
Das kann unabsichtlich und ohne bösen Willen geschehen. Personen, die sich weder dem männlichem, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, trans oder nichtbinär sind, sind besonders häufig von Misgendering betroffen. Sie nutzen häufig keine oder neutrale Pronomen und eine neutrale Anrede, auf die Rücksicht genommen werden sollte.
Während im Englischen zwischen „Sex“, dem biologischen Geschlecht und „Gender“, dem sozialen Geschlecht, bzw. der Geschlechtsidentität unterschieden wird, gibt es im Deutschen diese Spezifizierung nicht. Gender-Studies und Queer-Studies betonen jedoch, dass Geschlechterkategorien auch von gesellschaftlich vorherrschende Meinungen und Diskursen bestimmt werden.
Warum passiert Misgendern?
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Menschen misgendern. Der wohl häufigste Grund ist, dass Menschen aufgrund der Optik einer Person auf deren Geschlecht (in der Regel männlich oder weiblich) schließen. Gleiches gilt, wenn jemand aufgrund von primären oder sekundären Geschlechtsmerkmalen Ruckschlüsse auf deren Gender, also gesellschaftlichen Geschlechts ziehen. Zu den Geschlechtsmerkmalen zählen beispielsweise:
- Genitalien
- Vorhandensein oder Fehlen einer ausgeprägten Brust
- Hohe oder tiefe Stimme
- Fehlende oder vorhandene Gesichtsbehaarung
Auch in Situationen, in denen behördliche Ausweise verwendet werden müssen, kommt es zu Misgendering. Generell ist es in Deutschland immer noch sehr schwierig, das Geschlecht in seinem Pass ändern zu lassen. Damit verbunden sind beispielsweise zwei psychiatrische Gutachten, bei denen teilweise sehr intime Fragen über sexuelle Vorlieben und andere Verhaltensweisen beantwortet werden müssen. Die gute Nachricht: Im Sommer 2022 beschloss die Ampel-Regierung eine Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes. Das soll das Verfahren zum Ändern des Geschlechts deutlich vereinfachen.
Wer seine Geschlechtsmerkmale in seinem Pass allerdings nicht oder noch nicht ändern konnte, wird in Situationen, in denen behördliche Ausweise vorgelegt werden müssen, zwangsläufig einer falschen Geschlechtsidentität zugeordnet.
Auch Vorsatz kann eine Rolle spielen. Bewusstes Misgendern kann beispielsweise durch das absichtliche Verwenden eines falschen Pronomens, einer falschen Ansprache oder eines bereits abgelegten Namens, der nicht mehr zum gesellschaftlichen Geschlecht passt, geschehen. Denn transfeindliche Personen sind keine Seltenheit. Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2015 fand heraus, dass 46 Prozent der befragten Trans-Personen aufgrund ihrer Identität verbal belästigt und 9 Prozent sogar körperlich angegriffen wurden.
Misgendering betrifft besonders häufig Trans-Personen. Auf den Punkt gebracht bedeutet trans, dass das bei der Geburt aufgrund der Geschlechtsmerkmale zugeschriebene Geschlecht, nicht den eigenen Empfindungen und dem eigenen Erleben entspricht. Häufig nehmen Trans-Personen deshalb geschlechtsangleichende Maßnahmen vor.
Was kann Misgendern bei betroffenen Personen auslösen?
Misgendern kann nicht nur kurzfristig verletzen, es kann auch nachhaltig das Selbstbewusstsein und die mentale Gesundheit von queeren Personen negativ beeinflussen.
Eine Studie aus dem Jahr 2014 in der US-amerikanischen Zeitschrift „Self and Identity“, in der viele Trans-Personen zu Wort kamen, fand heraus:
- Rund ein Drittel der Teilnehmenden gaben an, sich sehr stigmatisiert zu fühlen, wenn sie misgendert wurden.
- Genderqueere Personen und solche, die im Übergangsprozess bislang weniger Schritte unternommen hatten, wurden eher misgendert.
- Wer häufig misgendert wurde, hatte eher ein geringes Selbstwertgefühl sowie ein gemindertes Gefühl von Stärke und Kontinuität in der Identität.
Wer eine Person misgendert, könnte diese darüber hinaus im schlimmsten Fall vor Anderen outen. Es obliegt aber nur der Trans-Person selbst, sich zu outen. Niemand sonst ist berechtigt dazu. Eine Trans-Person zu outen ist nicht nur respektlos, sondern kann auch zu mehr Diskriminierung und Belästigung führen.
Wie vermeidet man Misgendering?
Wer misgendern umgehen möchte, sollte immer daran denken, dass sich die Geschlechtsidentität einer Person nicht zwangsläufig am Namen oder Aussehen festmacht. Daher kann es hilfreich sein, nach dem bevorzugten Namen sowie den Pronomen und der damit verbundenen Geschlechteridentität zu fragen. Wer dennoch fälschlicherweise im Gespräch mit oder über eine Person das falsche Geschlecht nennt, also beispielsweise über eine Trans-Frau als „er“ spricht, sollte sich selbst korrigieren.
Es kann sich insbesondere zu Beginn sehr seltsam anfühlen, eine Person nach ihrer Geschlechtsidentität oder den Pronomen zu fragen, es ist allerdings durchaus sinnvoll. Denn allgemeine Regeln fürs Gendern gibt es nicht, schließlich ist jeder Mensch anders. So gibt es beispielsweise nicht-binäre Menschen, die das englische geschlechterneutrale Pronomen „they“ verwenden. Im Deutschen findet man dieses ab und an als „dey“. Andere bevorzugen hingegen ein anderes Pronomen.
In den Accounts sozialer Medien geben viele trans- und nicht-binäre Personen bereits das Pronomen an, mit dem sie angesprochen werden möchten. Ein vorheriger Blick kann helfen, Missverständnisse und unangenehme Situationen zu vermeiden. Auch Cis-Menschen, die sich ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, können dort ihr Pronomen angeben. Für Männer ist das also beispielsweise „er/sein“, bzw. „he/him“ und für Frauen „sie/ihr“, bzw. „she/her“.
Wir alle machen Fehler und so kann auch Misgendering passieren. Falls dies der Fall ist, sollte man sich entschuldigen und versichern, dass man in Zukunft versucht, das richtige Pronomen und die richtige Ansprache zu wählen. Wer von einer anderen Person korrigiert wird, sollte nicht versuchen, sich zu verteidigen. Ein einfaches „Dankeschön“ wirkt auch hier Wunder.
Welche Pronomen gibt es?
Die binäre Geschlechterordnung schlägt sprachlich die Verwendung von „er/sein“ für das männliche Geschlecht und „sie/ihr“ für das weibliche Geschlecht vor. Das Sichtbarwerden der queeren Community lässt jedoch neue Geschlechter und Geschlechteridentitäten ans Licht kommen. Damit verbunden sind auch weitere Pronomen.
Manche nicht-binäre, trans- sowie intergeschlechtliche Personen wechseln im Laufe ihres Lebens oder je nachdem, wie sie sich fühlen, ihre Pronomen oder können beispielsweise mit beiden Formen angesprochen werden.
Neben den altbekannten Pronomen gibt es auch sogenannte Neopronomen, die das binäre System umgehen. Beispiele dafür sind:
- Das schwedische „hen“, das geschlechtsneutral für alle Menschen steht.
- Das englische „they/them“.
- Deutsche Varianten wie „sier“, „sie*er“, „si_er“ oder „xier“.
Dies mag auf den ersten Blick sehr verwirrend sein und möglicherweise möchte man die Pronomen besser umgehen. In den Austausch gehen kann auch hier die Lösung sein. Denn je einleuchtender eine Sache wird, desto einfacher ist es auch, sich darauf einzulassen.
Zusammenfassung
Wer eine Person auf eine Weise anspricht, die nicht ihrem Geschlecht entspricht, beispielsweise durch die Verwendung des falschen Pronomens, misgendert. Dies kann bewusst aber auch unbewusst geschehen, kann bei der betroffenen Person allerdings großen Schaden anrichten. Wer in Erfahrung bringt, wie das Gegenüber angesprochen werden möchte, kann Misgendering vermeiden.